Sarah Pinborough: Sie weiß von dir

Sarah Pinborough: Sie weiß von dir

rororo, 2016, 464 Seiten

Das Buch war Empfehlung von Stephen King auf Twitter und dann noch der Literaturfiffi im Radio, der es toll fand: GANZ falsch konnte das Buch also nicht sein – sollte man meinen. Aber dieser langatmig, weitschweifige, von Adjektiven und Adverbien überschwemmte, seitenweise sich in Klein-Klein-Beschreibung verlierende Roman ist nicht einfach nur zu dick, zu lang und voll. Nein, das angeblich so „überraschende“ Ende ist eine erstaunliche Mischung aus Humbug und billigem Autoren-Trick wie Geheimtüren oder unbekannten Zwillinge in Trash-Thrillern, die am Ende die Auflösung des Rätsels sein sollen. Und dazwischen: Geschwätz, Redundanz, laaaaange Beschreibungen, sprachliche Ödnis.

Das überrascht gerade, weil Stephen King so viel Wert auf nüchterne, kantige, abgespeckte Sprache legt (wie er selbst hier schreibt), überrascht seine Empfehlung. Diese Sprache ist wie Popcorn: Riesentüte, kein Gehalt und seltsam aufgebläht schlägt man das Buch am Ende zu.

Möchte man das Buch zusammenfassen, gelingt das in einem einzigen Satz – und weiß doch alles, was der Roman zu sagen hat: Frau beginnt Affäre mit ihrem Chef (Psychologe) und seine Frau weiß das irgendwie (Psychopathin) und strickt einen Plan, um ihn zurückzugewinnen, der zu einer Persiflage aus Arztroman, Herz-Schmerz-Rosamunde-Pilcher (Frau mittleren Alters in der Krise, beste Freundin wird schlimmste Feindin usw) und Bodysnatcher Geschichte gerät – inklusive Seelenwanderung. Für den Mist braucht Pinborough fast 500 Seiten.

Muss gestehen, dass ich von den letzten 200 Seiten nur noch immer die ersten Sätze der Absätze gelesen habe und irgendwann erstaunt war, dass  NICHTS verloren geht und ich die Geschichte so ganz locker begreife – nur 5 x so schnell und dabei auf detaillierte Schilderungen von Tee machen, beim Nachbarn quatschen, Reflexionen über warum der urlaubende Sohn oder die Kollegin oder man selbst nicht so ist, wie man gern wäre.

Alle Figuren bis auf den Mann erzählen aus ICH-Perspektive, was es noch schlimmer macht, wegen Weitschweifigkeit und Selbstbespiegelung und Warum-nur-macht-er/sie-Sätzen, dann gibt es allerlei Rückblicke und eingeflochtene Notizbücher und Traumschilderungen und – verboten! – mehrmalige Erklärungen , wie alles zusammenhängt, so eine Art Zusammenfassung für Begriffsstutzige. Da kommt einem Edgar Wallace wie Kunstkino vor.

HERRgott wollte ich zwischendurch rufen: Sarah, KASSE DICH FURZ!

Ich mach das jetzt.

Helge Timmerberg: Die rote Olivetti

Helge Timmerberg: Die rote Olivetti

Der Titel ist schön. Der Untertitel ist Scheiße. „Mein ziemlich wildes Leben zwischen Bielefeld, Havanna und dem Himalaya“? Echt? Und auch das Foto, mit Kippe im Mund, hat er sicher mit dem Verlag diskutieren müssen. Auf einem seiner älteren Bücher sitzt er im Unterhemd, auch mit Kippe. „Wer soll denn das Buch kaufen, Helge?“, dürften die gefragt haben. Ich hab mich nicht abschrecken lassen. Denn wie und was Timmerberg erzählt – einstiger Tempo, Twen, Stern, Playboy und Bunte Autor – von Reisen und der Medienwelt, von seinen Fickfreundinnen und Kollegen und überhaupt sein Ich-habs-einfach-drauf-Gemache, das ist oft lustig, unterhaltsam und, ja, meist auch einfach gut geschrieben.

Keine Autobiografie ist das, eher ein Ultra-Langtext „Wie ich der Journalist/Reiseautor/Frauentyp wurde, der ich bin“. Es ist auch ein Buch über – obwohl gerade erst 20 Jahre her – eine untergegangene Epoche: Die Bedingungen und Stimmungen der Medienwelt West-Deutschlands der 80er und 90er. Verrückte Verleger mit scheinbar endlos Geld. Karrieren die aus dem Suff und Kiff heraus wachsen – Talent ein bisschen, Ehrgeiz ein bisschen, Ausdauer sehr viel und gesunder Eigensinn. Hinten raus schwelgt er mir ein bisschen zu sehr in Erinnerungen an die kubanischen Frauen – alle – und einige ganz besonders.
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Stephen King: Das Leben und das Schreiben

Stephen King: Das Leben und das Schreiben

Mit drei Vorworten und drei Nachträgen und einem voran gestellten Lebenslauf in Prosa ist das Buch eine Art „Work in Progress“. Darin die zwei mehr oder minder unveränderten Kapitel „Der Werkzeugkasten“ und „Über das Schreiben“. Nicht mehr und nicht weniger IST das Buch. Eine Autobiografie, ein Werkstattbericht, ein Ratgeber – und liest sich wie ein Roman vom King.
Der Lebenslauf schildert Erinnerungen und Momente, die King als bestimmend für seinen Weg zum Autor empfindet. Lässig erzählt er die Erlebnisse eines jungen Mannes mit Ambitionen und Sitzfleisch – aus dem sich durch viele Jahre üben der Autor irgendwann herausschält, der weiter macht, immer weiter und dann diesen einen Anruf von seinem Agenten bekommt, den sich alle Autoren wünschen. Sein Buch (Carrie) wurde für 400.000 Dollar verkauft. Der Rest ist Geschichte – im wahrsten Sinne. Hier gibt es eine kurze Leseprobe.

5 simple Regeln
King erzählt nach diesem Durchbruch über die Methoden und Mittel, die sich für ihn in nun über 50 Jahren Schreiben als funktionierend herausgestellt haben – und er hat auch Ratgeber gelesen, Seminare besucht und gegeben. Die Formel ist einfach und für jeden machbar: Viel lesen, viel schreiben. Und dann noch ein paar sprachliche Hinweise beachten: Adverbien hassen, Passiv lassen und ansonsten die rhetorischen und grammatikalischen Regeln befolgen – solang man nicht sicher ist, dass man es gut macht. Ab da darf man auch ein bisschen mehr spielen. King erzählt etwas über gute Beschreibungen und ihren dosierten Einsatz, weil es nur das Setting der Situation ist, die man erzählen will. Er zeigt gute und sehr schlechte Dialoge und warum es beides gibt. Überhaupt: Als Profi könne man auch von schlechten Büchern viel lernen – allerdings sei er zu alt heute, um sich seine Zeit von schlechten Büchern stehlen zu lassen. Da reicht ihm manchmal schon ein schiefes Bild oder eine lächerliche Metapher, um das Buch wegzulegen.

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Bodo Kirchhoff: Widerfahrnis

Bodo Kirchhoff: Widerfahrnis

Frankfurter Verlagsanstalt, 224 Seiten

Es fängt an, wie viele Bücher, die von Autoren oder Verlegern oder Buchhändlern handeln:  Ein Mann allein, in einem Zimmer meist, spät abends, in den Bergen, und der denkt nach. Über sein neues Leben, in diesem Fall nach der Aufgabe seines Verlags und seiner Buchhandlung, dem Verkauf des Autos und des Rückzugs ins Exil. Es ist Winter vor der Tür. Und dann steht diese Frau in Sommerkleid und offenen Schuhen vor seiner Tür – und als sie endlich über die Schwelle tritt und man trinkt, flirtet, redet und den gemeinsamen Aufbruch planen, um irgendwo den Sonnenaufgang zu sehen, beginnt auch die imaginierte Geschichte zu Handlung zu werden.

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Rachel Kushner: Flammenwerfer

Rachel Kushner: Flammenwerfer

Rowohlt, 556 Seiten

Wie kann ich ein Buch grandios zu Beginn finden und dann irgendwann nur noch lang, ja mindestens 200-300 Seiten zu lang? Und das, wo es von sehr unterschiedlichen Rezensenten und Autorenkollegen wie Jonathan Franzen oder Colum McCann gefeiert wurde, 2013 Finalist für den National Book Award in den USA war und von der NY Times zu einem der besten 10 Romane des Jahres erklärt wurde?

Der Einstieg, ja die ersten 200 Seiten dieses, ja, was?, Künstlerromans, dieses Doppel-Zeit-Portrait, dieser Collage aus zeitlich und örtlich verstreuten Ereignissen mit einer Hauptfigur, die aber nicht immer da ist, der ist ganz toll: Eine junge Frau, Reno, jagt auf einem italienischen Motorrad durch den Westen der USA, auf dem Weg nach Bonneville zum Salzseerennen. Dann ein Rückblick nach Alexandria zu Beginn des 20 Jahrhunderts – ohne dass man eine Idee hat, wo der Zusammenhang ist. Es aber wissen will. Sehr fließend, sehr dicht und klar geschrieben, treibend, wie der Motor der besagten Maschine. Weitere Zeitsprünge vor und zurück, ihre Ankunft in New York, die ersten Kontakte mit der Künstlerszene, ein paar Parties, und wieder nach vorn: das Salzsee Rennen und ein Unfall. Und dann…

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Emma Cline: The Girls

Emma Cline: The Girls

Roman Hanser 346 Seiten

Ein Debüt, für das so mancher Autor weiß Gott wen umbringen würde. Um Mord übelster Art und jugendliche Irrungen und Fantasien geht es dann auch im Buch. Californien 1969, barbusige Hippimädchen, aber mit kalten Augen und einer Mission, die in einem Schlachtfest endet. Literarisiert finden wir hier die Geschichte der Manson Family erzählt, oder Teilen dieser düsteren Seite des Summer of Love. Großartig, sprachlich „crisp&fresh“ und so verdammt klug, dass man es mit der Angst bekommt.

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Haruki Murakami: Von Beruf Schriftsteller

Haruki Murakami: Von Beruf Schriftsteller

Dumont, 240 Seiten

Dieses Buch ist die Selbstauskunft eines Autors, der ansonsten kaum öffentlich auftritt und sich selbst einem rigiden System aus Schreiben und Laufen unterworfen hat. Schon Murakamis Buch „Wovon ich spreche, wenn ich vom Laufen spreche“ (Titel eine Anlehnung an ein Buch des von Murakami hochverehrten Raymond Carver), erzählte er vom Aufstehen um 5 Uhr morgens, dann Schreiben, dann Sport und der Rest des Tages mit dies und jenem verbringen und früh ins Bett. Anders will er nicht leben, anders kann er nicht schreiben. Aber warum schreibt er, was findet er schreibenswert, wie findet er seine Ideen, was hält er von anderen Autoren und wer sollte überhaupt Schriftsteller werden? Davon erfährt man ein wenig, aber nicht so viel, wie mancher vielleicht erwarten mag. Es ist ein Buch für Schreibende und Hardcore Fans. Mehr lesen

Richard Ford: Unabhängigkeitstag

Richard Ford: Unabhängigkeitstag

Berlin Verlag, 589 Seiten

Das hier ist die Mitte der Bascombe Trilogie (vier Bücher sind es mit dem überraschenden Post-Scirptum: Let me be Frank with you). Sicher schon drei mal gelesen, aber das allererste mal war, als ich selbst in USA lebte und Richard Ford für Independence Day gerade den Pulizter Preis gewonnen hatte. Als Student mit 26 las es sich (bestimmt, kann mich kaum erinnern) ganz anders, als heute mit 45, wo ich ungefähr so alt bin, wie der Frank im Buch. Ob ich damals den Tiefgang, die Melancholie, das hilflose Suchen von Frank nach Nähe zu seinen Kindern, zu seiner Ex, seiner Freundin und zu sich selbst packen konnte? Sich einen Reim auf all das machen, was passiert ist und wohl noch kommt. Für solche Zugänge muss man wohl älter werden. Und dann ist das Buch im Büchersack, den ich beim Umzug zurück nach Europa packte und verschickte, verloren gegangen. Vielleicht auch ein Zeichen.

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Elena Ferrante: Meine geniale Freundin

Elena Ferrante: Meine geniale Freundin

suhrkamp, 423 Seiten

Das ist also der erste Teil von vier. Bei der Erstveröffentlichung in Deutschland schlich Ferrante nahezu unbemerkt durch die Buchhandlungen – und wurde wenige Zeit später in den USA so erfolgreich, wie einst Isabel Allende. Eine Art Ferrante Fieber brach aus, das schon bald zu literarischen Touren von US-Touristen durchs Ferrante Neapel über zahllose Verweise und Referenzen in Zeitschriften und Zeitungen führte. Es folgten Recherchen wer die anonyme Autorin denn nun ist. Erfolg macht Neider und neugierig.

Alles zunächst ohne, dass in Deutschland jemand groß Notiz nahm – nur die Preise der antiquarischen Ausgaben in Deutsch schossen in die Höhe. Der suhrkamp Verlag wirft nun  aber in kurzer Folge die vier Neapel-Romane auf den Markt, diesmal mit entsprechender Marketinguntermalung. Und sie haben es geschafft: Platz 1 auf der Bestsellerliste. KEINE Zeitung, kein Radiosender, der nicht über den ersten Band „Meine Geniale Freundin“ berichtete. Ein Buch, das vielleicht in der Lage ist, das von Camorra und Gomorrha zerstörte Bilder der Stadt wieder herzustellen – und zugleich auch zu erklären, wo der Zusammenhang zwischen Aufstieg und Fall einer Metropole wie Neapel und den urbanen, sozialen und kulturellen Bedingungen eines Viertels wie des „Rione“ ist. Und zu unterhalten. Und sprachlich sehr eigen und bewegend zu sein. Und wie heute die großen Serien horizontal zwei Leben und dutzende von Nebenfiguren zu erzählen – ohne dabei postmodern wie Pynchon zu mäandern.

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Christian Kracht: Die Toten

Christian Kracht: Die Toten

Kiepenheuer & Witsch, 212 Seiten

Das schleimige Rangewanze in einem Interview, das Denis Scheck, den ich sonst in Sachen Leserei sehr gut finde, hätte mich fast vom Kauf abgehalten. Und dann steht noch auf dem Buchrücken dieser Hohlsatz von ihm, dass das Buch vom Preis handle, „um den das Neue in die Welt kommt“. Ach je. Trotzdem gekauft. Und dann über die ersten Seiten gestaunt, die Ausgestelltheit und Gespreiztheit der Sprache – bis Kracht es im weiteren selbst erklärt. Irgendwann ist man drin in dieser Geschichte vom schweizer Regisseur Naegli, einem japanischen, tja, Verräter und Sprachgenie und einer blonden Deutschen – dazu Chaplin, Rühmann und ein paar Figuren der deutschen Geschichte. Deutschland, Europa und Asien kurz vor dem Fall in den Krieg und die Filmwelt kurz vor Ton- und Farbfilm Revolution. Und der Tod und die Liebe dürfen auch nicht fehlen, obwohl es vordergründig um ein Horrorfilmprojekt in Japan geht. Aber auch um die Kunst überhaupt. Und das Leben. Und Sterben. Und das Kurzdavor.

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