Es gibt witzige Krimis, Mörder-Biopics und Crime-Dokus, es gibt Agatha Christie Style Krimis, Weltraumkrimis oder wie Der Name der Rose Mittelalterkrimis. Es gibt Skandinavien Krimis (und meist schreckliche deutsche Regionalkrimis), Anwaltskrimis, Inselkrimis, es gibt US Serienmörder Krimis, es gibt Horror&Geister- oder Theaterkrimis oder kulinarische Krimis, Dorf-, Land- und Großstadtkrimis und unzählige weitere Cross-Over Formate. Es gibt Krimis mit einsamen, depressiven, versoffenen, hyperintelligenten, schizophrenen oder kriminellen Ermittlern, mit mordenden, lüsternen, verlassenen Kommissarinnen oder Surfer-Detektive oder Ex-Irgendwas Privatermittler, es gibt Omas oder Kinder, die Fälle klären. Und es gibt die Bücher von Candice Fox.
I can’t get enough
Ob Fernsehen oder Buchhandlung: Wir kriegen offenbar vom Tod und von unserer eigenen Angst davor, so wie von dem Wunsch nach Vergeltung und Gerechtigkeit einfach nie genug. Und weil ein Krimi immer ein eindeutiges Ziel hat, das wir kennen (wohingegen mordlose Romane immer erst ihr „Ziel“ über Sprache, Handlung und Figuren entwickeln müssen), lassen wir beim Krimi endlose Landschaftsbeschreibungen, antriebslose Kommissare, Klischees und Stereotype, hölzerne Dialoge, Pappfiguren und lächerliche Zufälle über uns ergehen. Warum? Wir wollen wissen, wie es ausgeht. Wer war es? Bekommt er/sie, was er/sie verdient?
Dark
De Roman aus dem Jahr 2020 hat drei Hauptfiguren und auch die wichtigen Nebenfiguren sind alles Frauen. Aber ohne, dass das so gewollt wirkt wie bei den Remakes von Ghostbusters oder Oceans 8. Bei Dark sind es eben nur Frauen, die für die Geschichte wichtig sind. Handlung: Los Angeles, ein Mädchen verschwindet und sehr unterschiedliche Frauen machen sich aus sehr unterschiedlichen Motiven auf die Suche nach ihr – und am Ende hat alles mit allem zu tun und bleibt bis zum Ende spannend. Gemeinsam auf einer Art Floß durch die Schweinereien der Welt treibend, müssen die sehr unterschiedlichen Charaktere zusammenarbeiten, ohne dabei das Klischee von der angeblichen „weiblichen Solidarität“ zu bedienen. Im Gegenteil.
Fertighausliteratur
Richtig gute Krimis wie von Candice Fox bringen es zusammen: Packende Sprache, glaubhafte, vielschichtige Figuren, gut beobachtete Nebenfiguren, lebendige Orte und Dialoge und eine spannende Handlung. Ich schreibe Handlung, nicht Plot. Weil der „Plot“ oft bloß regelhöriges Abarbeiten von den immer gleichen Protagonist/Antagonist Figurenkonstellationen mit künstlichen Konflikten ist. Wie bei den Groschenheft Autoren. Dramaturgische Laubsägearbeit mit vorhersehbarem Rhythmus aus (private) Situation der Ermittler, dann Mord, dann erstem Verdächtigen, dann neuem Verdächtigen, dann Lösung, einem letztem Aufbäumen und endgültigem Ende. Gäääähn! Das sind oder Reihen-Fertighaus Geschichten, die Bildschirme und Regale füllen.
Die Essenz
Dabei steckt im Krimi doch immer die Essenz des Lebens: der Tod, Gefühle und Wünsche, Geheimnisse und Lügen, Rache und Verlust, Liebe und Lächerlichkeit. Daraus sollte man was machen können! Können viele trotzdem nicht. Aber es gibt eine enorme Nachfrage nach Krimis. Und ergo ein enormes Angebot. Mit wirklich sehr, sehr großen Qualitätsunterschieden. So extrem wie zwischen Pommes Currywurst für die Mikrowelle und einem Menü im Noma in Kopenhagen. Und klar: Candice Fox ist Noma-Küche!
Hades
Der Roman spielt in Fox Heimat Australien. Ein Serienmörder, der gutes zu tun glaubt und ein Ermittlerteam, das einige üble Dinge getan hat. Kein Whodunit-Krimi, wir wissen wir bald, wer es ist und warum. Das Wie und wie der Druck der Vergangenheit, die Gegenwart auch der Ermittler bestimmt, das ist hier grandios zusammengebaut. Klassisch spiegeln sich Täter und Polizisten in ihrem Handeln – haben also ähnliche Motive, die aber zu anderen Schlüssen führen. Das Polizei-Team ist nicht gekünzelt unterschiedlich, um deren Konflikte als Extra, als Hemmnis oder Katalysator erzählen zu können. Auch die seltsamste (Neben)Figur in diesem Buch lebt, man meint, sie anfassen zu können. Aber man könnte bei keiner der Figuren eine Garantie abgeben, ob sie nicht im nächsten Kapitel ganz andere Seiten aufzieht. Unvorhersehbar, bedrohlich und warm, dabei spannend und klug zugleich. Tolles Buch.
Sterneküche
Candice Fox ist für mich die Spitzenköchin, der René Redzepi (Chef des oben erwähnten Noma) der Krimis. Bei ihr ist alles total stimmig und gegenwärtig. Die Zutaten sind hochwertig, schön, frisch und überraschend kombiniert. Das Buch ist ein absolut fantastisch neues, berührendes, spannendes, begeisterndes Menü.
Es gibt auch in der Präsentation, der Sprache, kein zu viel und kein zu wenig, es gibt in der Handlung kein Schischi und keine Überwältigungstricks (krasse Gewalt, vollkommen durchgeknallte Killer), um damit von der eigentlich schwachen Geschichte, lahmen Figuren abzulenken.
Dark und Hades sind das Beste, was ich lange gelesen habe. Der letzte Krimi, den ich so toll fand, war vor 11 Jahren, das Buch, das mich überhaupt zum (gelegentlichen) Krimileser gemacht hat: Beat the Reaper von Josh Bazell. Der leider danach nichts auch nur annähernd so Gutes wieder zusammenbekommen hat. Das ist bei Candice Fox zum Glück anders. Ich habe gerade erst angefangen, mich in ihr Werk einzulesen, das bei Suhrkamp erscheint.