Louise Erdrich: Der Nachtwächter

Louise Erdrich: Der Nachtwächter

Es geht – auf der Handlungsebene dieses tollen Romans – ums Überleben einer First Nation in den USA. Und um das, was ein Einzelner gegen ein scheinbar übermächtiges System ausrichten kann. Auf einer ganz anderen Ebene handelt der Roman von der tiefen Verbundenheit zum eigenen Land, zu dem Boden, auf dem man steht und stirbt, Generation um Generation. Die Grenzen von Zeit und Raum, Damals&Jetzt, hier&woanders lösen sich auf und ermöglichen Hellseherei, Flüche. Geistwesen sprechen und Tiere weisen die Richtung – aber auch die Toten sind da, die Gescheiterten und Verlorenen, Alkoholismus und Entfremdung.

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Lisa Halliday: Asymmetrie

Lisa Halliday: Asymmetrie

Roman Hanser, 315 Seiten, 2018

Empfehlung – man glaubt es kaum, aus dem Internet. Von einem Vielleser. Und ja, sehr eigenwilliges Buch. Als ich es dann bekam, hatte ich vergessen, worum es ging und begann zu lesen. Weltbekannter Schriftsteller, Ezra Blazer, und junge Verlagsangestellte Alice begegnen sich, er will sie, sie willigt ein, es wird eine geheime Affäre. Es geht in den Gesprächen und Gemeinsamkeiten um Ticks und Krankheiten, um spezielle Marmeladen oder Smoothies, natürlich um Bücher (aber eher selten), um bestimmte Hemden und Socken, Sex und Alkohol, Krankheiten, nötige Operationen und Baseball.

Das Leben der beiden findet in Blazers Apartment mit Blick auf den Central Park und die ganze Stadt oder einem großzügigen Haus auf dem Land statt, wohin er sich zum Schreiben im Sommer zurückzieht. Wenn er weg ist, scheint Alice verloren. Wenn er da ist, irgendwann unsicher, wohin das führt, und was sie davon hat. Er mag sie, sie mag ihn, zwei kluge Menschen sehr unterschiedlicher Generationen, Erfahrungen und an den beiden Enden der (beruflichen) Parabel.
Das ist witzig, klug, hellsichtig geschrieben, der Blick auf den Überfluss, der sich im Kleinklein bestimmter Qualitäten von Produkten zeigt, die Lust auf Texte und den großen Unterschied zwischen Leben und Text – vor allem den eigenen und das eigene. Beide sind sich des Klischees bewusst, dass sie da leben. Beide wissen, es hat keine Zukunft, aber na und? Was hat schon Zukunft, außer das Leben selbst?

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George Saunders: Lincoln in the Bardo

George Saunders: Lincoln in the Bardo

Bloomsbury 2017, 343 Seiten

Gelesen schon lang vor dem diesjährigen Man Booker Prize für Saunders. Ein Fan, weil dieser Mann einfach so grandios anders, eigen, eindringlich und gut schreibt, dass jeder, der selbst mit Worten zu tun hat, sich wie ein kleingeistiger Stümper vorkommen muss. Was wir auch sind – im Vergleich.

Seine Kurzgeschichten ZEHNTER DEZEMBER habe ich hier schon hymnisch besprochen und so war die Vorfreude groß, als Anfang des Jahres sein erster Roman erschien. Sofort in England bestellt, in einem Rutsch gelesen – und dann ermattet liegen lassen, unfähig Worte für dieses Erlebnis zu finden.

Aber das Gefühl ist heute noch so frisch, wie vor fünf Monaten – was ja allein schon für die Kraft dieses Buchs spricht. Inzwischen hab ich weitere Bücher gelesen, dazu hunderte Seiten Magazine, Zeitungen, Blogs. Ich habe Filme und Serien gesehen und viel geschrieben. Aber LINCOLN IN THE BARDO pulsierte und starrte mich in den letzten Wochen aus dem Regal geradezu an. Das Buch hat die Kraft, Tote zu erwecken.

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Stephen King: Das Leben und das Schreiben

Stephen King: Das Leben und das Schreiben

Mit drei Vorworten und drei Nachträgen und einem voran gestellten Lebenslauf in Prosa ist das Buch eine Art „Work in Progress“. Darin die zwei mehr oder minder unveränderten Kapitel „Der Werkzeugkasten“ und „Über das Schreiben“. Nicht mehr und nicht weniger IST das Buch. Eine Autobiografie, ein Werkstattbericht, ein Ratgeber – und liest sich wie ein Roman vom King.
Der Lebenslauf schildert Erinnerungen und Momente, die King als bestimmend für seinen Weg zum Autor empfindet. Lässig erzählt er die Erlebnisse eines jungen Mannes mit Ambitionen und Sitzfleisch – aus dem sich durch viele Jahre üben der Autor irgendwann herausschält, der weiter macht, immer weiter und dann diesen einen Anruf von seinem Agenten bekommt, den sich alle Autoren wünschen. Sein Buch (Carrie) wurde für 400.000 Dollar verkauft. Der Rest ist Geschichte – im wahrsten Sinne. Hier gibt es eine kurze Leseprobe.

5 simple Regeln
King erzählt nach diesem Durchbruch über die Methoden und Mittel, die sich für ihn in nun über 50 Jahren Schreiben als funktionierend herausgestellt haben – und er hat auch Ratgeber gelesen, Seminare besucht und gegeben. Die Formel ist einfach und für jeden machbar: Viel lesen, viel schreiben. Und dann noch ein paar sprachliche Hinweise beachten: Adverbien hassen, Passiv lassen und ansonsten die rhetorischen und grammatikalischen Regeln befolgen – solang man nicht sicher ist, dass man es gut macht. Ab da darf man auch ein bisschen mehr spielen. King erzählt etwas über gute Beschreibungen und ihren dosierten Einsatz, weil es nur das Setting der Situation ist, die man erzählen will. Er zeigt gute und sehr schlechte Dialoge und warum es beides gibt. Überhaupt: Als Profi könne man auch von schlechten Büchern viel lernen – allerdings sei er zu alt heute, um sich seine Zeit von schlechten Büchern stehlen zu lassen. Da reicht ihm manchmal schon ein schiefes Bild oder eine lächerliche Metapher, um das Buch wegzulegen.

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