Stephen King: Das Leben und das Schreiben

Mit drei Vorworten und drei Nachträgen und einem voran gestellten Lebenslauf in Prosa ist das Buch eine Art „Work in Progress“. Darin die zwei mehr oder minder unveränderten Kapitel „Der Werkzeugkasten“ und „Über das Schreiben“. Nicht mehr und nicht weniger IST das Buch. Eine Autobiografie, ein Werkstattbericht, ein Ratgeber – und liest sich wie ein Roman vom King.
Der Lebenslauf schildert Erinnerungen und Momente, die King als bestimmend für seinen Weg zum Autor empfindet. Lässig erzählt er die Erlebnisse eines jungen Mannes mit Ambitionen und Sitzfleisch – aus dem sich durch viele Jahre üben der Autor irgendwann herausschält, der weiter macht, immer weiter und dann diesen einen Anruf von seinem Agenten bekommt, den sich alle Autoren wünschen. Sein Buch (Carrie) wurde für 400.000 Dollar verkauft. Der Rest ist Geschichte – im wahrsten Sinne. Hier gibt es eine kurze Leseprobe.

5 simple Regeln
King erzählt nach diesem Durchbruch über die Methoden und Mittel, die sich für ihn in nun über 50 Jahren Schreiben als funktionierend herausgestellt haben – und er hat auch Ratgeber gelesen, Seminare besucht und gegeben. Die Formel ist einfach und für jeden machbar: Viel lesen, viel schreiben. Und dann noch ein paar sprachliche Hinweise beachten: Adverbien hassen, Passiv lassen und ansonsten die rhetorischen und grammatikalischen Regeln befolgen – solang man nicht sicher ist, dass man es gut macht. Ab da darf man auch ein bisschen mehr spielen. King erzählt etwas über gute Beschreibungen und ihren dosierten Einsatz, weil es nur das Setting der Situation ist, die man erzählen will. Er zeigt gute und sehr schlechte Dialoge und warum es beides gibt. Überhaupt: Als Profi könne man auch von schlechten Büchern viel lernen – allerdings sei er zu alt heute, um sich seine Zeit von schlechten Büchern stehlen zu lassen. Da reicht ihm manchmal schon ein schiefes Bild oder eine lächerliche Metapher, um das Buch wegzulegen.

Das Leben und das Schreiben von Stephen King

Ist das Literatur?
„Gutes Schreiben hat viel damit zu tun Angst und Affektiertheit abzulegen. Affektiertheit selbst, angefangen mit dem Bedürfnis einige Scheibstile als gut andere als schlecht einzustufen, ist angstbesetztes Verhalten. Gutes Schreiben bedeutet auch, die Werkzeuge, mit denen man arbeiten möchte, überlegt auszuwählen“, schreibt King – der ja seit Beginn seiner Karriere zu hören bekommt, er würde gar keine Literatur machen. Wer das glaubt, soll weiter seine unverständlichen Bücher ohne Dialoge und Handlung über Bachläufe oder heilige Küsse und erzene Ehen schreiben.

Hier ist ein amerikanischer Erzähler am Werk, der unterhalten will, dem es nicht zuerst um ein Thema geht, nicht um den Plot, sondern um eine spannende, treibende Handlung und die Entwicklung der Figuren. Und auch um Sprache – auch wenn diese eben nicht klingt wie bei Cormac McCarthy oder Delillo. Er will eine Geschichte erzählen, so gut, so kompakt, so genau und fließend, dass der Leser …“vergisst, dass er überhaupt eine Geschichte liest“. Und das gelingt dem Mann sogar bei diesem Sachbuch. Romane schreibt er. Drei bis 18 Monate braucht er für einen. Die Methode: Ins Zimmer gehen und jeden Tag (jeden!) erst wieder aufstehen, wenn 2000 Worte geschrieben sind. Ganz getreu dem Picasso Motto: „Inspiration existiert – aber sie muss dich arbeitend vorfinden.“

Die Magie
Und dann gelingt es King inmitten dieser protestantischen Arbeitshaltung die Magie zu beschreiben, die dem „Schaffen“ und Erfinden innewohnt: der Flow, also dass sich eine Geschichte selbst schreibt, Figuren anfangen zu leben und auch für den Autor überraschende Dinge sagen, machen und wollen. Dass es am Ende immer die Figuren selbst sind, die die Handlung verändern, und nicht die Handlung die Figuren. Und warum das Leben als Autor zugleich ein Glück ist und ein Fluch, weil es immer (immer!) Arbeit ist, viel Arbeit, einsame Arbeit, und für die meisten von uns nichtmal honorierte Arbeit. Aber was soll’s? Steht ja jedem frei lieber morgen um acht in einem Versicherungsbüro zu sitzen.
Im Kapitel „Über das Schreiben“ bewegt sich King eine Ebene höher, raus aus der Werkstatt aus Grammatik, Rhetorik und korrektem Satzbau. Zum Beispiel wenn man als angehender Autor ein Buch liest und denkt, „Zur Hölle, das könnte ich besser.“ Das ist ein wichtiger Moment, weil man zugleich die Erfahrung und das Selbstvertrauen hat, es auch zu tun. Und dann auch wieder seine Maxime: lesen, viel lesen, immer lesen. Ein Autor braucht Zeit, Zeit zum Lesen und noch viel mehr Zeit zum Schreiben. Und wenn er oder sie nicht allein lebt, gibt es auch noch Familie und Freunde. Aber Fernsehen. Wann denn? Dafür war er eine ganze Weile seines Lebens (und hat dabei einiger seiner besten Romane geschrieben) Alkoholiker und drogenabhängig. Auch das erzählt er mit Blick aufs Schreiben und vor allem sein Leben. Mehr von King auf seiner Webseite.

Tür zu, Tür auf
Wo man schreibt, sollte man gern sein und gut sitzen und dann einfach los. Egal ob neben der Heizung im Keller, in einem Gartenhaus, im Arbeitszimmer oder nachts am Küchentisch. Geschichten, die geschrieben worden sind, existieren vor allem, weil sie geschrieben werden mussten. Dennoch: Alleinsein, die Welt aussperren (die Tür schließen, nennt King das, und dazu muss man auch gewillt sein) ist essentiell, denn als Autor will man eine Welt schaffen, also muss die andere eine Weile draußen bleiben. Und dann nur noch vom langweiligen Vernunftdenken des Alltags lösen und los… Er schlägt für den Anfang vor 1000 Worte am Tag und immer weiter, solang die Geschichte heiß ist. Dann überarbeiten (und um mindestens 10% kürzen) und Tür auf, zum Lesen geben, und wieder überarbeiten.

King berichtet aus der eigenen Werkstatt, erzählt wie die Idee zu Carrie entstand oder zu The Last Stand oder weiteren Klassikern. Er zeigt am Ende des Buchs seine Überarbeitungen und belegt damit, was er vorher in Theorie geschildert hat: sprachliche Regeln, Dialoge, Klarheit, 10% kürzen. Es gibt Exkurse zu Agenten, den idealen Erst-Lesern und dem Umgang mit Kritik. Es gibt eine fiktive Biografie eines jungen aufstrebenden Autors – und wie es gelingen oder schief gehen kann.

Schreibseminare
Schreibseminare und was man lernen kann: Ihm graut es (ja, dem King of Horror!) vor den typischen Diskussionen in diesen Kursen: „Mir gefällt die Atmosphäre in Peters Geschichte, sie hat so etwas… so ein Gefühl von.. so etwas Liebevolles. Keine Ahnung..“ Wem sollen solche Aussagen zu einem Text etwas bringen? Zu selten gehe es um Sprache und Erzählstruktur, zu oft um Gefühle und Atmosphäre.
Aber wenn Handwerkszeug und Selbstvertrauen in solchen Kursen vermittelt wird, weil man in diesen Kursen Prosa, Schreiben per se einfach ernst nimmt, wenn sie zum Schreiben animieren (jeden Tag!), dann kann so ein Kurs auch etwas bringen. Und wenn der Kurs nicht von einem „nickenden lächelnden, feierlich gedankenverloren blickenden Schwachkopf“ geleitet wird und die Gespräche über die Texte möglicherweise intellektuell anregend, aber für den Autor und sein Schreiben nutzlos sind. Und der Erklärungsdruck, der auf den Seminaren liegt, weil man sich (ohne eigenen Nutzen meist) für seine Texte rechtfertigen muss oder meint, das zu müssen, leitet seiner Meinung nach die kreative Energie in die Falschen Kanäle.

Das Buch endet mit der Erzählung von Kings Unfall 1999, der ihn fast getötet hätte. Und wie er das erzählt. Spannend, durchaus mit Humor, wie er dann einbaut, was es mit seinem Schreiben gemacht hat, dass das vorliegende Buch aus dem Schmerz geboren wurde, dass es ihm aber auch wieder zurück ins Leben gebracht hat, dann schafft er es (wie immer, ohne dass man es merkt) ALLES, was er zuvor als Werkzeugkasten und Über das Schreiben geschildert hat, in eine Geschichte fließen zu lassen, die zwar sein Leben ist, aber genauso gut eine King-Fiktion sein könnte.