rororo 124 Seiten
Die rororo Ausgabe von „Fänger im Roggen“ inklusive meiner hohlen Kommentaren von 1984 („das langweiligste Buch der Welt, Was soll das? Hold on Holden! usw.“) steht noch bei mir im Regal. Jahre später mit großer Freude gelesen natürlich. Als mir nach Salinger war die Tage, griff ich aber zum weniger bekannten, aber vielleicht sogar schöneren Buch.
Beim Blick auf „Fänger im Roggen“: Warum lässt man eigentlich in der Schule so gern junge Menschen Bücher über junge Menschen lesen, die Probleme mit sich und ihrer Rolle haben? Glauben die Lehrerinnen, DAS könnte die denkfaul und hormongefüllten Mädels und Jungs interessieren? Ist das der Versuch, pubertierende Buchhasser (damals Fernseh- und Comicfliebhaber, heute youtube-Lover) das Lesen oder überhaupt Literatur näherzubringen? Mein S0hn muss sich „Tschick“ antun (ein tolles Buch, aber mit 13?) wie ich damals den Fänger.
Dieser einzige andere, ja was, Roman, diese beiden zusammenhängenden Kurzgeschichten von Salinger über die Geschwister Franny und Zooey spielt Mitte der 50er Jahre (schöner Trailer der die Stimmung der Geschichte ohne Worte spiegelt). Es geht wie immer um Verwirrtheit und Sinnsuche ehemaliger Wunderkinder einer New Yorker Großfamilie.
Überhaupt hat Salinger immer über junge Männer und Frauen geschrieben, immer gibt es eine kleine Schwester, die wegweisende Dinge sagt oder tut, für die älteren, intellektuellen klug daherredenden und auf erwachsen machenden Brüder. Irgendwer schrieb mal, im Grunde sei Salinger immer ein Jugendbuchautor geblieben. Und das war nicht nett gemeint.
Dabei zeugt die Haltung bloß von der Arroganz älterer Literaturpäpste, was „richtige“ Literatur ist und ist genau der Grund, warum junge Leute keine Lust haben sowas zu lesen: Weil ihnen wieder ein Großer sagt, was sie gut finden sollen. Da haben Heinrich Böll und seine Frau Annemarie anders gedacht und geben FRANNY UND ZOOEY einen wunderbaren Flow, der im Orginal nicht besser sein kann.
Die Sorgen und Ängste von Franny und Zooey sind die gleichen wie die der Kids heute. Ihre Art damit umzugehen auch: Reden (damals „in echt“ oder am Telefon, heute Whatsapp), Rückzug in fiktive Welten (damals Bücher und Filme, heute: Spiele, Internet und Filme) und die Affinität zu einem Denk-System, einer Ideologie oder Gemeinschaft, die einem sagen, wie man sein Leben leben soll (weil die Eltern es nicht mehr tun oder tun sollen).
Wer sich unwohl und unsicher mit sich fühlt, sucht. Wer total zufrieden mit sich ist, geht mit dem Mainstream. Von diesen Figuren gibt es auch immer welche in Salingers Büchern. Und obwohl auch die meist nette, normal redende, gebildete Ostküsten Kids sind allesamt, scheint er ihre Konventionalität, gebildete Borniertheit (immer weitergetragen an den Eliteunis des Landes) und zweifelsfreie Egozentrik zu hassen.
Salingers Hauptfiguren sind Exzentriker und Außenseiter wider Willen. Sie zweifeln und ringen. Und aus der Reibung des gleichzeitig Dazugehören-Wollens, „So-sein, wie die anderen“ und der Ahnung, dass man so eben nicht ist, daraus entsteht die Energie in Salingers Geschichten. (was für ein irres Leben Salinger selbst führte und wie das auch in FRANNY UND ZOOEY anklingt, erzählt Georg Diez sehr schön in der DIE ZEIT , Auzug weiter unten). In der es vordergründig um Frannys Wochenend-Besuch bei ihrem Freund am College geht und ihren letzten Versuch, ein „normales Mädchen“ zu werden. Das geht schief. Im zweiten Teil geht es dann um ihren Bruder Zooey, einen Schauspieler (in jeder Hinsicht), der den größten Teil der Story in der Wanne liegt und mit seiner Mutter, danach im vollgerümpelten Wohnzimmer mit Franny diskutiert. Zooey ist wie seine Schwester ein arrogantes ehemaliges Wunderkind, der aber unter seiner Bescheidwisserei und seinen Ansprachen die Sorge um seine sich in einen religiösen Wahn steigernde Schwester nicht verbergen kann, genausowenig wie den Verlust, den der Tod des ältesten Bruders ihm bedeutet. Dialoge und Monologe im vollgerümpelten Elternapartement in Manhattan, Zeitgeistanalysen und eine rudimentäre Familiengeschichte, Symbolismus, theologische Exkurse, Intellektuellen-Bashing und Verzweiflung – das ist der Mix der knapp 100 eng bedruckten Seiten.
Irgendwie ahnt man, dass die Trauer, die Verluste, die Verlorenheit der beiden sie auch späteren Leben weiter quälen wird und dass der Wunsch, wieder Kind sein zu dürfen, sie im Leben eigenartige Entscheidungen treffen lassen wird.
Schade, dass Salinger vor 50 Jahren aufgehört hat zu publizieren (nicht zu schreiben!) obwohl er erst 2010 verstarb. Ein Autor, der wirklich wusste, wie Jungsein sich anfühlt und dafür eine Sprache fand, die zugleich gestelzt und wahrhaftig erscheint.