3×2. Weltkrieg – drei Romane ein Thema

Krieg – Drei Bücher erzählen vom Davor, kurz vorm Ende und danach

Endlich! Der letzt Teil von Jason Lutes BERLIN TRILOGIE erschienen. Und Endlich #2 – nach 10 Jahren wieder ein Buch von Michael Ondaatje („Katzentisch“ von 2011 interessierte mich nicht so), sein WARLIGHT wird gerade auch von den deutschen Rezensenten gepriesen. Und schließlich, von dem hab ich nie genug, Ralf Rothmann DER GOTT JENES SOMMERS.

Alle drei Bücher spielen rund um den Zweiten Weltkrieg, mit unterschiedlichsten Perspektiven und Erzählformen. Mal als multiperspektivisches Kaleidoskop aus Geschichten (Lutes), als Sommerzählung aus der Sicht eines jungen Mädchen vom Land am Rand des Krieges (Rothmann) oder als Agentenroman und gleichzeitig Coming of Age Geschichte (Ondaatje).
Der Krieg aber ist in allen Geschichten schimmernder Hintergrund für Geschehnisse, Charaktere und eine Stimmung, voller Möglichkeiten, sozialer Umbrüche, irrwitzigen Karrieren, aber auch Ängsten, Hassbotschaften und politischer Unübersichtlichkeit und Einzelschicksalen, die sowohl historisch treffend wie zeitlos scheinen.

Nachdem Jason Lutes die ersten Kapitel seiner Berlin-Trilogie 2001 (in Deutschland erst 2003) zu einem Buch zusammenfasste, folgte 2008 auf Deutsch Teil 2 und nun, erst zehn Jahre später mit BERLIN, FLIRRENDE STADT endlich Teil 3, das im Jahr 1933 endet. Während dieser fast 20-jährigen Entstehungszeit wurde Netflix und die neue Serie erfunden, die viel von der Schnitttechnik und Parallelerzählungen und Figurenensemble der „Graphic Novels“ übernahmen, die in den letzten Jahren ebenfalls im Mainstream ankamen.
Und dann kam dieses Jahr die Serie „Babylon Berlin“, die sich der gleichen Zeit wie Jason Lutes BERLIN TRILOGIE widmet. Babylon Berlin, verkauft in dutzende Länder, ist zugleich ein Indikator, was inzwischen aus Berlin wurde: Nämlich DIE Stadt in Europa, ja vielleicht der Sehnsuchtsort für junge Menschen aus aller Welt. Die Stadt spielt mit ihren Schichten aus Geschichten: der wilden 20er, der Nazis, der Zerstörung, der Teilung und Mauer und Revolution, der verkrachten Existenzen, der Punk und Bowie und Iggy Pop Zeiten, Kreuzberg, Hausbesetzer und jetzt auch wieder des großen Gelds, von Startups und großen Politik.

Jason Lutes Babylon Berlin – aber schon vor 20 Jahren begonnen

Nun also ein Comic, der wieder die Geschichte erzählt, an die noch immer die meisten denken, wenn sie bei „Deutschland“ nicht sofort „Autos“ denken: Nämlich Hitler und der Krieg. Der Herr Hitler taucht auch gleich im ersten Kapitel auf. Und die „deuenden“ Nazis kloppen sich 33 mit den Kommunisten und ein desillusionierter Linkspazifist verliert sich im Suff, eine Lesbe mag doch auch Männer und geht zurück nach Köln, ein junges Mädchen schlägt um sich, um gegen die Nazis zu kämpfen, mit den gleichen Mitteln wie die. Ab Mitte des Buchs nimmt das Tempo zu, die Erzählorte und Figuren wechseln in kürzeren Abständen und das Gefühl, dass man ahnt, was kommt ist doch eher das Wissen, dass was kommt – was dann auf der letzten Seite auch offenbart wird: Und wie im Song aus Babylon Berlin, „Zu Asche zu Staub, aber jetzt noch nicht….“,dann aber eben doch: Berlin zerbombt. Der Mauerbau. Und Heute. Alles überlagert sich und man fragt sich fast sehnsüchtig, was wurde aus den Figuren. Die Geschichte ist beendet, der Comic mit der Frage, wie sowas von sowas kommt ohne große Linien und ohne Erklärungen, eher mit Hinweisen. Ein bisschen ermüdend vielleicht (aber das mag auch an Babylon Berlin liegen) das ewige Tanzclub-Roaring 20s Ding, die Lesben mit Zylinder, die Kommunisten mit Schiebermütze, die Geisteselite aus Weltbühne und Literaten, Josefine Baker und die Arbeiterklasse plus prügelgeile Nazis und die Bankiers im Hintergrund… und der Hitler. Das wirkt wie eine zu voreilige Chiffre für „Freiheit bedroht“, vor der die Figuren ein wenig zu klein geraten. Aber, nach all den Jahren, werde ich vor allem das Warten auf diesen letzten Teil vermissen.

WARLIGHT von meinen geliebten Ondaatje (Buddy Bodens Blues, Billy the Kid, Der englische Patient) ist ein konstanter Strom der Erinnerung eines Mannes an seine Kindheit in London nach dem Krieg. Ziemlich bald nach dem Kriegsende 1945 verlassen die Eltern für eine Arbeit in „Übersee“ die Kinder und geben sie zunächst in Obhut eines Bekannten, der sich an den Wochenenden um den Jungen und seine ältere Schwester kümmern soll, wenn die beiden aus dem Internat nach Haus kommen.

Doch bald schon, wohnen sie mit dem Mann mit dem Namen Moth (die Motte) und seinen undurchschaubaren Geschäften in ihrem Elternhaus – nur ohne die Eltern oder auch nur eine einzige Nachricht von ihnen. Über Monate. Was sie nichtmal beunruhigt, aber doch Fragen aufwirft: Woher kennen die Eltern diese Leute, die fortan im Haus ein- und ausgehen, von Exzentrikern bis Gauner, zwielichtige und eigenwillige Männer und Frauen, die zu einer Ersatzfamilie werden. Statt in die Schule zu gehen, schmuggelt Nathaniel bald Windhunde über die Themse für illegale Rennen, arbeitet in einem Hotel in der Küche, beginnt eine wilde Liebe in leerstehenden Häusern, mit einem jungen Mädchen voller Abgründe und Geheimnisse. Wie überhaupt ganz im Gegensatz zu heute, diese Männer und Frauen so gut wie überhaupt nicht über sich selbst sprechen, was sie tun oder tun wollen, geschweige denn getan haben – während des Krieges. Geradezu gespenstisch fremde Welt im Vergleich zu heute…

Michael Ondaatjes Coming of Age und Post-War Geschichte

Darüber und darunter (aber von Nathaniel und seiner Schwester fast nie erwähnt) die Frage, wo sind die Eltern, vor allem: wo ist unsere Mutter und was bitte macht sie? Was lassen diese Leute, ihre zwielichtigen Geschäfte für Verbindungen in die Vergangenheit erkennen, wer spricht überhaupt die Wahrheit? Hier ist das eine Coming of Age Geschichte mit tollen Settings im kriegszerstörten London mit Edgar-Wallace-artige Nächten und Typen, eigenwillig, schräg, so stark wie lebendig. Und alles ist offen. Alles ist möglich in doppelter Hinsicht, für den jungen Mann Nathaniel und überhaupt für alle in dieser Zeit nach dem Krieg, der die letzten Reste von Klassengesellschaft wackelig geschossen hat, auch wenn das Milieu hier „straigtht Cogney“ ist. Dann, im zweiten Teil des Buches, ist die Mutter wieder da und dann ermordet, Nathaniel lebt auf dem Land und versucht das Leben dieser Geheimagentin zusammenzusetzen. Ondaatje ist in all seinen Büchern ein Erinnerungskünstler, immer geht es, wie auch in WARLIGHT um die Frage, wie das was war, was wir oft gar nicht selbst beeinflussen, was uns nur umgibt an Geschichten und Vergangenheit, das Leben beeinflusst, ja unseren Charakter bis in tiefste Tiefen prägt, wie die Bruchstücke aus Bildern und Worten und vermeintlichen Erklärungen ein „ich“ formen. Der Guardian schrieb: „It’s as if WG Sebald wrote a Bond novel.“ und genau deshalb ist es so ein grandioses Buch.

Und Rothmann, DER GOTT JENES SOMMERS: Auch ein Erinnerungsbuch, das wie der Autor erzählte, auf einer knappen Erzählung seiner Eltern basiert, wie sie sich während des Krieges kennenlernten, irgendwo in Norddeutschland. Er Melker, dann auf dem Weg ins Ruhrgebiet. Erzählt wird von den letzten Monaten während des Kriegs, aber fern von Bombenhagel und Volksfront. Auf dem Land, wo das Beschwerlichste die Flüchtlinge sind, die vor der Roten Armee gen Westen laufen oder ausgebombt überall auf dem Hof untergebracht werden. Ansonsten geht es allen vergleichsweise gut. Die Schwester der Hauptfigur ist ein „wilder Feger“ und bändelt mit jedem an, die jüngere Schwester der Bücherwurm, der sich verliebt, aber damit nichts anzufangen weiß so recht. Ein Vater, der selten da ist und einem Schwager, der ein fettes Nazi-Tier ist. Und so wird von allem der Alltag geschildert, der Neid, die Prahlsucht und Standesdünkel, die Intrigen auf diesem Hof, die Männer alle sehr männlich, die Frauen sehr drall oder karg, Nazis sind weit, aber doch ganz nah, wie die schlimmen Gerüchte aus dem Osten. Diese norddeutsche Ebene ist ein Hallraum des Kriegsgetöses, ein Ort fast wie herausgenommen aus der Zeit und Welt, nur durch kleine Stiche aus Tod, KZ, Bomben und Barbarei berührt.

Ralf Rothmans End-Kriegszeit auf dem Land Roman mit starken Frauen

Ich mag Rothmanns unprätentiöse, dabei immer wieder so helle, fast poetische Beschreibung, die wenigen Worte um eine Figur zu fassen, die Andeutungen von Geschehen und Begehren, die wie ein Geruch den Frühling oder wie ein bestimmtes Licht, den Herbst nur ankündigen, aber auch ganz anders gedeutet werden können. Schon wieder Krieg und Nazis könnte man bei jedem Roman schreiben, der seit 15 Jahren erscheint zu dieser Zeit. Aber Rothmann dient der Krieg wie in seinem Vorgänger vor allem als Hintergrund, um über Menschen und Gefühle zu erzählen, die in Extremsituationen sind, die in einer Welt scheinbar ohne Regeln und Gewissheiten, dafür voller Angst leben und denen es doch gelingt, Freundschaft, Nähe, ja Liebe zuzulassen, das Grauen die Angst den Hass wenn nicht vergessen, doch zu verdrängen – damit das Leben eine Chance hat.