Wiliam Finnegan: Barbarian Days – A Surfing Life

Corsair, 499 Seiten

Finnegan kenne ich als Autor des New Yorker. Dort berichtet er vor allem überinnenpolitische und gesellschaftliche Themen aus den USA und macht spannende lange Texte zu Krisenregionen. Dass 1992 vielleicht den besten Text übers Surfen geschrieben hat und dabei einen Freund portraitierte, von dem sogar ich, einige 1000 Kilometer weiter und bisher einmal in meinem Leben auf dem Brett gestanden, gehört hatte, wurde mir erst mit der Lektüre dieser Pulitzer geehrten Biografie klar: „Playing Doc’s Games.“ hieß der Artikel damals. Er dreht sich um Dr. Mark Renneker, einen Surfmaniac und Arzt in San Francisco. Und der kommt auch im letzten Teil dieses grandiosen Buchs über einen „Weg“ (nicht einen „Sport“) vor: Wellenreiten, Surfen, Big Waves.

Endless Summer war der Film, der schon Ende der 60er Jahre die Jagd einiger junger Männer rund um den Globus nach Wellen erzählte. Finnegan war damals 12 und begann in Hawai zu surfen – und hat seitdem bis heute, mit über 60, nicht mehr aufgehört. Was gibt es da soviel zu schreiben? Welle ist Welle, nur entweder groß oder klein. Der ist doch Reporter und Hobbysurfer, warum schreibt der sein „Surfing Leben“ auf? Auf fast 500 Seiten. Etwa weil das Surfen seit zehn, fünfzehn Jahren einige Millionen Leute begeistert, trotzdem nie „Massensport“ geworden ist, aber immerhin Breitensport – ungefähr so wie das Longboard-Fahren in der Stadt. Nein. Diese Entwicklung interessiert ihn nur am Rande, weil die Wellen so voll sind und es einen Profizirkus mit Wettkämpfen (eigentlich anachronistisch fürs Surfen) und Sponsor2010_mavericks_competitionen und Großverdienern und einer Kleidungsindustrie gibt, die ihre allermeisten Shirts und Shorts an Leute verkauft, die noch nie auf einem Brett gestanden haben.

Surfing is a path, not a sport
Surfen war für Jahrzehnte, jedenfalls für die Harcore Jungs wie Finnegan, ein „Path“ eine Art Religion, auf jeden Fall eine Haltung zum Leben – und keine Industrie und kein Sport. Dafür ist Surfen zu Aufwendig, wenn man es echt gut machen will und kein „Krook“ (Versager, Anfänger) bleiben will, dafür ist es auch zu gefährlich, wenn man die Wellen will, die es nur ein paar mal auf der Welt gibt. Dafür ist Surfen auch sehr geprägt von unsausgesprochenen sozialen Regeln, manchmal Gewalt und einem knallharten Männerding, wenn es darum geht, „wem die Welle gehört“ – alles andere also als ein niederschwelliger Einstieg in die Szene. Trotz Surfschulen und allem.

Was das Buch schafft, ist in glänzender Selbstanalyse und brillanter Beschreibung von Wellen, Wellenumgebung, Wellenfreunden und von den Gezeiten (sozial, politisch, surfmässig, privat) zu erzählen. Von einem jungen Mann auf der Suche, dann auf dem Weg, dann angekommen – aber immer surfend. Von einer Suche nach Erkenntnis und Kick zugleich, da draußen in lebensbedrohlichen 10 oder 12 Meter Wellen. Wie Finnegan vom Surfen schreibt, erinnert in Sprache und Haltung, in ihrem tiefgehenden, klaren und sogerzeugenden Sound, an die Bücher von James Salter, der am Anfang übers Fliegen schrieb und später auch übers Klettern, bevor er sich der Liebe zuwandte. Wobei diese Dinge eng zusammenhängen – wie beim Surfen.

Warum surfen?
Wer also keine Ahnung hat, warum Leute surfen. Wer wissen will, wie aus einem Haufen lässiger Aussteiger, die von der Polizei verfolgt und gesellschaftlich geächtet waren, eine Multi-Millionen Dollar Industrie wurde, wer wissen will, was man fühlt, wenn einen die Welle unter Wasser hält, dass man (fast) ertrinkt, oder wie man sich fühlt, wenn man die eine perfekte Welle fahren konnte und was das mit dem Leben des Surfers macht, der soll das lesen. Und dazu all die Orte, an denen Finnegan surfte (USA Ost und Westküste und Hawai, Südamerika, Asien (da ist sie, die perfekte Welle), Madeira, Australien…., die er aus dem Blick des Surfers aber gelegentlich auch als Reporter erzählt.

Und dazu über 500 Seiten allmählich das Verständnis für die unfassbare Komplexität von nur einem Strand und den dort kommenden Wellen, die manchen Surfer sein ganzes Leben an sich bindet, wie einen Bauer an sein Land. Weil darin eben ganz viel was die Japaner „Do“ nennen steckt: Die Suche nach Perfektion in der Variation des Immergleichen. Da reicht ein Leben nicht. Auch wenn dieses Buch von so einem Leben erzählt und mit dieser einen Welle endet.


Foto by Shalom Jacobovitz – SJ1_8558, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9511582