Luchterhand 272 Seiten
Manches kann man sich nicht vorstellen. Manches mag man sich nicht vorstellen. Man soll hier bedeuten: Ich als Vater. Oder Väter. Eltern. Zum Beispiel den Tod des eigenen Kindes. Da kommt eine natürliche Ordnung durcheinander wie im Krieg, wenn die Jungen vor den Alten sterben, wenn Eltern ihre Kinder beerdigen müssen und die Zukunft plötzlich keine mehr ist. So geht es Charlie aus einer Kleinstadt in den USA, der seine Tochter bei einem Unfall verliert, nur ein paar Tage später auch seine Frau, die ihn verlässt und dann die Kontrolle über sein ganzes Leben, weil der Schmerz so tief, die Trauer so groß, die Gründe weiterzuleben so verschwindend sind.
Charlie schildert seinen Sinkflug in Drogen, Alkohol, Verwahrlosung seltsam hellsichtig, unterbrochen von Erinnerungen an seine Tochter, an die Alltäglichkeiten einer Liebe, eines Lebens, die erst dann Bedeutung bekommen, wenn es kein „Mehr“ gibt, wenn keine weiteren Erinnerungen und Erlebnisse und Gemeinsamkeiten mehr gesammelte werden können, weil die Tochter tot ist, von einem Auto überfahren auf dem Heimweg vom Schwimmen. Dann erst bekommt das Vergangene Bedeutung, laden sich Momente symbolisch auf, dann erst erkennt man in jeder Erinnerung an das eigene Kind, an das Leben, das man so einfach führte, schon den drohenden Tod. Wir leben nur so lang in der Gegenwart, wie wir eine Zukunft haben. Die hat Charlie verloren.
In einer sehr schönen, schweren, manchmal poetischen Sprache begleiten wir ihn durch seine Trauer, seine Gedanken, seinen Schmerz – nur ein Mann und der Verlust. Mehr passiert nicht. Aber durch die Sprache und die Bedeutsamkeit, die nun alles hat, ist VERLUST kein spannendes Buch im thrillersinnn, aber ein Buch, das einen packt. Tief drin. Einzig die zwei, drei Passagen, in denen Träume oder Wahnvorstellungen vom Erzähler Besitz nehmen, in denen er nicht nur seinen Körper endgültig zerstört zu haben scheint, sondern auch seinen Verstand, diese Szenen waren etwas too much. Ansonsten aber eine Geschichte, die einen nah heranführt an dieses Schwarze Loch, zu dem das eigene Leben wird, wenn man sein Kind verliert.