Joachim Meyerhoff: Alle Toten fliegen hoch – Amerika

Lange her, dass ich mehrmals laut lachen musste beim Lesen. Meyerhoffs Memoire hat genau wie seine anderen Bücher alles, was es braucht: Die beeindruckende Fähigkeit, Menschen in kleinen Szenen zu beschreiben, einen Helden (sich selbst), der zugleich sympathisch wie unzulänglich und sehr aufmerksam ist. Dabei erzählt er witzig und klug, während immer ein leicht melancholischer Ton mitschwingt.

Wie nah Tragik und Lust, Schmerz und Freiheit in der Jugend beieinander liegen, daran erinnerte ich mich beim Lesen wieder. Wie groß die Welt war, wie frei man sich fühlte, wie man nur im Jetzt lebte und dabei großen Träumen nachjagte. Meyerhoff erzählt ein Teenagerleben in den westdeutschen 80ern mit den Unzulänglichkeiten, Zweifeln, den ungelenken sexuellen Erstkontakten und dem dauerhaften Wunsch wegzukommen – obwohl an der Liebe seiner Eltern und seiner zu seinen Eltern und Brüder nicht der geringste Zweifel ist.

Die erste Fahrt allein nach Hamburg, der Moloch, und der Auswahltag für ein Austauschprogramm in die USA. Die feinen Pinkel und blonden Pferdestrieglerinnen, zurück in die Kleinstadt und sein klein wirkendes Leben, dann die erste Liebe im Sommer inklusive Knutschorgien – und der Aufbruch in die USA – mitten ins nichts von Wyoming. Dort kommt er bei einer herzlichen, sehr amerikanischen Familie mit einem Arschlochgastbruder unter – alles dort ist groß und weit und süß und fett und grotesk und extrem kalt, laut oder dunkel.

Ergreifend und obwohl ja ganz und gar personal history sind das alles echte Romanfiguren und bleiben in Erinnerung: mit ihren Verschrobenheiten, ihrer Art zu sprechen oder das Leben zu nehmen oder ihrer kleinen Rolle bei der geistig-charakterlichen Entwicklung von Meyerhoff The German.

Als Ausgleich für den Arschlochbruder steht ein wildes Pferd auf der Koppel, das er geduldig zähmt, ein Wasserbett wo er seine Onanietechnik verfeinert und sehr fürsorgliche Gasteltern, die ihm genau das Maß an Freiheit lassen, das er braucht. An der Highschool, die wie aus St. Elmos Fire zu stammen scheint, tragen die Mädels Betonfrisuren, Jungs brennen sich Brandzeichen auf die Arschbacke und unter dem religiösen Alltag geht’s alkohlisch-sexuell wild zu. Sein chaotisches Englisch sorgt für Heiterkeit und kulturelle Missverständnisse, er spielt Basketball bei einem Trainer, der direkt aus Full Metal Jacket zu stammen scheint, sich aber später als psychisch gestörter, einsamer Mann entpuppt. Auf einer Fahrt mit einem weiteren grotesken Lehrer begegnet er Randy, einem deutschen Todeszellen Insassen, der – zurück in Deutschland – bei Meyerhoffs Familie lebt, die gerade eine große Tragödie durchlebt hat.


Was bei Knausgards Memoir-Romanen 50 Seiten an Alltagsdetails und Selbstzweifeln und kargen Dialogen gemischt mit philosophischen, literarischen und religionswissenschaftlichen Diskursen ist – und auf ganz andere Art interessant – liest sich bei Meyerhoff ganz leicht und locker und unterhaltsam. Die Dialoge sind witzig oder wild (und natürlich ebenso ausgedacht wie bei Knausgard -. niemand erinnert sich im Wortlaut an Gespräche, die länger als 1 Woche her sind!).

Bei Meyerhoff sitzt man als Leser mit am Esstisch, auf dem Sofa, im Auto, an der Seitenlinie beim Basketball oder auf einer apokalyptischen Saufparty in the middle of nowhere oder steht am Grab des geliebten Bruders – und man würde gern immer noch mehr von diesem jungen Mann erfahren, der hier in sein Leben aufbricht. Und das kann in den anderen vier Büchern auf ebenso unterhaltsame Weise auch tun.