Jarret Kobek: ICH HASSE DIESES INTERNET

Fischer, 363 Seiten

Die Lektüre fällt in eine Zeit persönlicher Social Media Zweifel. Obwohl ich auf Twitter (als das noch ein reiner Techi-Club war), Instagram und Facebook seit Jahren unterwegs bin und ja sogar Geld damit verdiene, anderen zu erklären, wie es geht.

Die Vorbehalte könnte ich wie folgt zusammenfassen: Was soll der Scheiß? Und darin bestärkt einen dieser Roman. ICH HASSE DESES INTERNET erzählt von Adeline und Freunden, die direkt oder indirekt mit den US Internet-Giganten zu tun haben, mit dem Silicon Valley und den unfassbaren Mengen Geld, die dort hinein und hinausströmen, San Francisco und die Welt verändern.

Alles Arbeiten und sogar unser soziales und politisches Leben bezieht sich heute auf die Frage, wie sehr man dabei ist beim Internet. Oder eben nicht. Zwischen die rudimentäre Handlung und viele Rückblicke auf sein Romanpersonal schiebt Kobek Exkurse zur Gentrifizierung, zu Mobbing, dem amerikanischen Rassismus, dämlichen Arschlöchern als politische und wirtschaftliche Anführer, alltäglichen Rassismus und wie Hass- und Katzenpostings Konzerne reich machen.

Die Comics und ihre Geschichte (eine der Figuren ist eine Zeichnerin) nimmt Kobek als Muster für die kommerzielle Verwerttung und Ausbeutung geistigen Eigentums durch reiche Konzerne. Es findet im Internet seine Fortsetzung. Die wertvollsten Firmen der Welt bieten ihre Dienste „kostenlos“ an, sind aber nichts anderes als gigantische Werbeplattformen und Datenerntemaschinen. Und wir liefern den Content.

Es geht im Buch um Glauben. Eine der Figuren betet die Götter des Valley an, entwirft einen Olymp der Internetgründer, bei dem jeder von Steve Jobs über Zuckerberg bis Larry Page sehr schlüssig in Verhalten und Unternehmen einem antiken Gott entspricht.

Und die unheimlichen, weißen Google Busse, die morgens und abends durch San Francisco Mitarbeiter aus gentrifizierten Vierteln zur oder von Arbeit fahren, sie sind im Roman ein Symbol: Wir können zwar sehen, wie sich alles verändert, dass etwas vor sich geht, aber wir verstehen nicht was. Sie kennen uns genau, wir sie nur oberflächlich. Und das vor dem Hintergrund einer Stadt, in der auch noch ein paar Freidenker und Althippies und Einwanderer einfach ihr Leben leben wollen, aber allmählich verdrängt und zersetzt werden. Und unheimlich alt und abgehängt wirken.

Nur die Literatur könnte retten. Aber sie wirft sich auf den Rücken wie ein unterwürfiger Hund und twittert mit. Auch dieses Buch ist keine Rettung, denn es ist kein guter Roman. Was auch der Autor weiß und zugibt. Es ist eine Sammlung von spitzen Thesen, ausgebildet in Figuren. Der Hype um das Buch in den USA ist zugleich Beleg für eine These im Buch: Hass und Faszination der intellktuellen Eliten mit Blick aufs Silcon Valley System liegen nah beieinander.

Und die Intellektuellen mögen schreiben und senden was sie wollen – sie machen alle mit, sind dabei. Weil man halt muss. Weil man eben auch ein Ego zu zeigen hat. Weil man auch Kunden (=Leser) will. Und so feiert man einen (schlechten) Autor, der aber immerhin sagt, was man gern sagen würde. Und vielleicht besser sagen kann.

Alle Aspekte der Internetwelt handelt Kobek mit seinen Figuren ab. Das Internet, geprägt von Geist, der es erfunden hat (das Militär) trägt Überwachung und Kontrolle in seinen Genen. Snowden. Celebritykult, Rassismus, weiße, männliche Führer im Valley, frei flottierendes Venture Kapital, die Elite-Unis mit dem Deckmantel der Geisteswissenschaften als Bildungsanstalten für zukünftige Kapitalisten und Militaristen, Schwachsinn wie Buzzfeed – alles basiert auf Ausbeutung und dem Sklavenhaltersystem aus den Gründungstage der USA und verändern die Welt für immer und ewig. Entweder weil jemand Shitstorms ausgesetzt oder arbeitslos oder politisch irregeleitet ist, weil er jetzt einen Ort hat seinen Hass, seinen Rassismus und Sexismus loszuwerden und gerade die wildesten Emotionen aufscheuchenden Meinungen die Firmen reich machen.

Steile, witzig erläuterte Thesen, denen man sich nicht entziehen kann. Es ist viel Wahres in den comic-haft überzeichneten Portraits der Gründer, Mitarabeiter und normal-dummen User – also uns. Was es mit unseren Beziehungen, unserer Sprache, unserer Freizeit, unserem Sex, unseren Ansichten, unserer Politik und unseren Gefühlen macht.

Einzig die Sprache, vermutlich (?) absichtlich auf klugen 180 Zeichen-Sprech, Grundkurs-Lehrbuch Sprache und simple Charaktere runtergekocht, nervt ab Seite 200. Man kann gut mal weiterblättern, bis man am Ende des Buchs bei einem wundervollen Hasstirade auf San Francisco und alles, was das Silicon Valley verbrochen hat, landet. Das fasst alles gut zusammen und ähnelt dem grandiosen Ausbruch von Edward Norton in Spike Lees 25th Hour.

Und ja, was soll der Scheiß eigentlich? Facebook ein Nachrichtenkanal, ein guter Werbekanal fürs eigene Business, profilschärfendes Tool zur Öffentlichkeitsarbeit? Blödsinn. Die meist-gelikten Posts bleiben bizarre oder witzige Fotos oder Videos. Oder Meinungen, die meine Filterblase mit mir teilt. Jedes Like nur Bestätigungen für eigene Geschmacksurteile über Filme oder Politik. Ein Posting über diesen Roman wird so gut wie keine Resonanz finden und macht dabei andere reich. Ein wundervolles System.