Wir Klimawandler (Under a white sky: The nature of the future) von Elisabeth Kolbert

Der Titel Under a white sky: The nature of the future ist deutlich besser. Der Deutsche Titel ist aus Verkaufsgründen irreführend. Denn ums Klima geht es nur in einem der Kapitel dieses großartigen, erhellenden, unterhaltsamen Buchs. Ansonsten erzählt Kolbert davon, wie wir Menschen Dinge in oder mit der Natur tun, die (unbeabsichtigt) sie so sehr verändern, dass wir danach für unglaublich viel Geld Dinge tun müssen, um die Schäden zu reparieren oder zumindest zu begrenzen – wodurch wir nicht selten, noch mehr Schaden anrichten – ad infinitum.

Das Klima im Titel ist mit Blick auf unsere unzähligen Eingriffe in die Natur nur ein und leider ein unglaublich träger, dabei aber gigantischer Teil der Natur. Allerdings mit dem Potential, das menschliche Leben auf der Erde vollkommen zu verändern. So weit, so bekannt. Vernichtung, Untergang, Apokalypse all das sind aber religiöse, anthropozentrische, aber keine naturwissenschaftlichen Kriterien: „die Natur“ bleibt am Leben, baut sich wie schon Milliarden Jahre zuvor nur passend um. Arten kommen, Arten gehen. Wir gegebenenfalls auch.

Das Buch erzählt witzig, neugierig, klug und klar von einigen dieser Eingriffe und den hilflos wirkenden Versuchen, den angerichteten Schaden zu beheben.

Thank you for the fish (Douglas Adams)
Am absurdesten sind die beiden Fischgeschichten: Zum einen die über den Chicago Sanitary and Ship Canal, der durch eine geniale Ingenieurleistung vollbrachte Fluss-Fließrichtungsumkehr entstand – und ungewollt den Wasserhaushalt von 2/3 der USA veränderte und zahlreiche, irre klingenden Eingriffe nötig machte: So wird der Fluss u.a. unter Starkstrom gesetzt, um Fische von der Wanderung in andere Gewässer abzuhalten, wo sie irreparablen Schaden anrichten werden – irgendwann sowieso. Fischer leben davon, so viele Tiere wie möglich zu fangen – und zu vernichten.

Im Kontrast dazu steht die Geschichte um ein gigantisch teures Fischerhaltungsprojekt in der Wüste, in einem Tümpel, in einer Höhle ein dutzend blinder Winzfische (der Teufelsloch-Wüstenkärpfling) leben – die letzten ihrer Art – die unter Aufwand von enormen finanziellen und personellen und wissenschaftlichen Ressourcen am Aussterben gehindert werden.

Oder – noch eine Flussgeschichte – die des Mississippi Deltas und von New Orleans und Louisiana – ein Bundesstaat, der schrumpft, weil der Fluss ihn frisst und ins Meer spült. Baumassnahmen, um das Land zu schützen, haben den Fluss an anderer Stelle beschleunigt, wodurch er mehr Land mitnimmt. Und weil, wie Kolbert schreibt „… Kontrolle das Problem ist, dann muss nach der Logik des Anthropozäns die Lösung in mehr Kontrolle bestehen.“ Die gebauten Deiche, der Hochwasserschutz, die Unmengen Uferbefestigung, die den Fluss in Schach halten sollen, führen dazu, dass die Region schneller zerfällt.

Es geht immer so weiter: Die Korallenriffe vor Australien zerfallen, weil es zu warm wird. Wenn die Korallen sterben, sterben unzählige (wörtlich gemeint) Meereslebewesen. Nun versucht man in Laboren, die Auswirkungen zumindest schon im Vorhinein einmal durchzuspielen.

Krötenwanderung
Oder die Geschichte der Agakröten, eine aus Südamerika nach Australien importierte Art, mit der man Zuckerrohr von Schädlingen befreien wollte. Die Kröten können das aber gar nicht, fanden aber genug andere Nahrung und vermehrten sich hernach ins Unendliche. Sie mutierten, ganz wie Darwin erkannte, immer zu ihrem Vorteil, und in diesem Fall in nur wenigen Generationen. Sie wuchsen, ihre Beine wurden länger, um schneller zu sein und so mehr Territorium zu erobern. Sie sondern Gift ab, das auch für Menschen tödlich sein kann. Gut gemacht dummer Mensch.
Nachdem man sie mit allerlei konventionellen Mitteln (Gift, Golfschläger, Autos, Spray) bekämpfte, sollen sie nun durch Genmanipulation vernichtet werden. Mit bisher noch nicht absehbaren Folgen…

Innovationsgläubigkeit
Im letzten Kapitel geht es dann um die von der FDP propagierte Idee einer „technischen Lösung“ für den Klimawandel. Nur leider wieder mit einigen Unbekannten in der Rechnung: So bauen mehrere Firmen an so genannten CO2 Abscheidern, Vorrichtungen, die CO2 binden. Dann kann man es „einsammeln“ und entsorgen – und z.B. auf Island vergraben. Geoengineering nennt man das. Dazu gehört auch die erstmal gut klingende Idee, mit Aufforstung CO2 zu binden. Aber weil dunkle Bäume nicht genug Licht reflketieren, wird es wärmer auf der Erde (Albedoeffekt), also müsste man helle Bäume züchten, die dann aber eventuell…. usw. usf.

Wie dumm kann man sein?
Nach der Lektüre fragt man sich: Wie kann ein Lebewesen zugleich so unfassbar intelligent und vollkommen dämlich sein? Wieso hat die Evolution es offenbar nicht geschafft, unsern Verstand zu einem langfristigen (langfristig im Sinne der Natur, nicht einer Wahlperiode oder eines Menschenlebens) Denken zu mutieren?

Wir sind im Grunde die gleichen Höhlenmenschen wie vor 50.000 Jahren – nur mit einem Lebensstil und Maschinen und Ansprüchen, die – wenn auch sehr langsam für ein kurzes Menschendasein – alles kaputt machen werden. Große Klimaschwankungen gab es genauso während der letzten Kaltzeit, da lebten wir Mensch noch in Höhlen. Die Stabilität des Klimas während der letzten 12.000 Jahre, ist einzigartig und ermöglichte vermutlich überhaupt erst die Entwicklung von Zivilisation des Menschen scheinbar unabhängig von der Natur. Nun könnte es mit dieser Konstanz vorbei sein. Und mit unserer Unabhängigkeit.

Unbedingt lesen!